"Haben wir hier Krieg?"
Deutsche "U 21"-Junioren erreichen EM-Endrunde und werden von türkischen Polizisten geschlagen
Artikel erschienen am 20. Nov 2003
Polizisten schützen die Spieler Franz, Görlitz und Auer (v.l.). In den Katakomben schlugen sie auf Deutsche ein
Istanbul/Berlin - Die Erleichterung war groß, als Benjamin Auer am Mittwochmorgen auf dem Frankfurter Flughafen landete. "Gott sei Dank, dass wir da heil heraus gekommen sind", sagte der Stürmer der deutschen "U 21"-Nationalmannschaft nach der Rückkehr aus Istanbul. Dort hatte der Angreifer von Mainz 05 am Vorabend mit seinem Tor zum 1:1 (0:0) in der Nachspielzeit des Rückspiels gegen die Türkei (Hinspiel 1:0) der DFB-Auswahl den Einzug in die EM-Endrunde beschert - und anschließend Szenen erlebt, "die so brutal waren, dass ich sie wohl nie vergessen werde".
Nachdem die deutschen Spieler bereits während der Partie im Sükrü-Saracoglu-Stadion von Fenerbahce Istanbul mit "Eiern, Gemüse, Dosen oder Flaschen" (Auer) beworfen worden waren, verlor nach dem Abpfiff auch das Sicherheitspersonal die Fassung: Auf dem Weg in die Kabine wurden Auer und seine Mitspieler von Polizisten und Ordnern geschlagen und getreten. "Haben wir hier Krieg?", rief ein entsetzter DFB-Trainer Ulli Stielike, der erleben musste, dass das "Fairplay mit Füßen getreten" wurde. "Ich dachte immer, die Polizei ist dafür da, um einen zu schützen", sagte Torhüter Tim Wiese vom 1. FC Kaiserslautern, "aber was hier abgegangen ist, das ist unglaublich."
Mit einer Platzwunde am linken Ohr saß der Wolfsburger Verteidiger Maik Franz in der Umkleidekabine, nachdem er von einem Ordner mit einem Faustschlag niedergestreckt worden war. Auer ließ sich nach einem Tritt eines Polizisten am Unterschenkel behandeln. Auch der tschechische Schiedsrichter Michael Benes musste von DFB-Arzt Dr. Michael Preuhs mit zwei Stichen am Kopf genäht werden.
Dem türkischen Verband droht nach diesen Vorkommnissen eine harte Strafe durch die Europäische Fußball-Union (UEFA). Deren Abgesandter Tom A. Restall aus Malta überzeugte sich in der deutschen Kabine nicht nur von den Folgen der Ausschreitungen, er ließ sich von den Spielern alles genau berichten und kündigte einen Schriftsatz an die UEFA an. "Hier haben sich Dinge abgespielt, die nicht auf einen Sportplatz gehören", sagte Restall. Das Strafmaß reicht von einer Platzsperre bis hin zu einer hohen Geldbuße.
Verständlich, dass sich nach den skandalösen Vorkommnissen die Freude über das Erreichen der EM-Endrunde vom 27. Mai bis 8. Juni 2004, für die sich der DFB als Gastgeber beworben hat und bei der die Möglichkeit besteht, sich für die Olympischen Spiele 2004 in Athen zu qualifizieren, in Grenzen hielt. "Wenn du die Türken raus haust, ist bei der EM auch Rang drei und damit die Olympia-Qualifikation möglich - vorausgesetzt, wir haben keinen weiteren personellen Aderlass", sagte Stielike, der zuletzt Kevin Kuranyi und Andreas Hinkel vom VfB Stuttgart an DFB-Teamchef Rudi Völler ("In diesem Team steckt Substanz") hatte abgeben müssen.